EBBA Kaynak | Pulsierendes Herz

 

Seit einem Jahr hatte ich dreimal eine Sonden-OP am Herzen. Dabei konnte ich am Bildschirm mitverfolgen, was die kleine Kamera in meinem Herzen gesehen hat. 

Mit dem "heart of glass" versuche ich, wieder in diese spannende Situation hineinzugehen, meinem eigenen Herzen Aufmerksamkeit und Liebe zu geben und es so darzustellen, wie ich es empfinde: warm, mit sauerstoffreichem Blut gefüllt, pulsierend, lebendig, bereit, mit mir zu tanzen. 

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Pulsierendes Herz

"Das merkwürdige an Herzen ist doch, dass sie nicht dargestellt werden können. Zumindest nicht korrekt. Denn gehören zu einem Herzen auch Venen und Arterien, wie Wurzeln zu Bäumen. Diese ziehen sich durch den ganzen Körper, den ein Herz betreibt und enden eben nicht, wie wir es aus Büchern kennen, nach kurzen Stümpfen. Sie schlängeln sich etliche Meter, scheinen sich zu verknoten und kommen letztendlich wieder an ihrem Ursprung an: Dem Herzen. An sich kennt das Herz kein Ende. Außer dem zeitlichen, an dem es den Betrieb einstellt und damit die ganze Maschine in den Ruhestand schickt. Wer das Herz darstellen möchte, müsste also den ganzen es umgebenden Körper zeigen und das Herz selbst dadurch wieder verdecken. Das Herz ist Innenarchitektur. Das Herz ist Kachelofen, Perserteppich und Küchentisch, nicht Estrich, Haustür oder Schuhabstreifer."

"Die meiste Zeit versteckt das Herz sich gut. Man merkt kaum, dass es da ist. Nur ab und an ruckelt es, beschleunigt, oder springt kurz aus dem Takt. Bei mir, wenn dann, zumeist am Abend. Dann, wenn der Körper zur Ruhe kommt und die letzten Gedanken an Organisation und Einteilung des Alltags sich bereits ausgeklinkt haben und nach einem letzten, kurzen Zittern zum Fenster hinaus geflogen sind. Dann macht es sich kurz bemerkbar. Ein kleiner Wackler, ein schnelles Hüpfen. Wenn das geschieht, kann einem Angst und Bange werden, es kann einem nichts ausmachen und es kann einen beruhigen, wenn das Herz dann zu sagen scheint: Du bist da. Ein kleines Stück der Welt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger."

"Und wem gehört denn eigentlich dieses Herz? Ohne es wäre man nicht, aber auch es tut sich schwer ohne einen. Und so scheint es doch genau für einen maßgeschneidert zu sein. Oder umgekehrt: Man selbst geschneidert fürs passende Herz."

"Vor uns liegt nun ein Herz aus Glas. Man mag daran denken, wie Herzen zerbrechen. Wie einer dem anderen, wie der Andere dem Einen und wie sie zusammen viele Herzen mehr zerbrochen haben. Weit aber kommen wir bei diesem Denken nicht. Zu oft wäre dieses Herz wohl zerbrochen und zu stabil dafür liegt es vor uns. Gehalten von einem Gerippe aus Stahl und dicken Schichten Klebers, die sich nicht zu verstecken suchen, schwankt es zwischen Kitsch und rustikaler Scheinfunktionalität. Es verortet sich eher irgendwo anders dazwischen. So geflickt es wirkt, so sehr wir die endenden Stümpfe sehen, so eingebettet und umgeben von wabernder Bewegung ist es zugleich. Es erscheint als Teil und verliert die Gewalt, die von den scharfen Kanten des Glases ausgeht. Man mag auch ein stehengebliebenes Herz sehen, oder ein transparentes und leeres. Vor uns erscheint aber auf einer Fotografie ein Herz, durch das Bewegung geht, vor dem und hinter dem sich rote Schlieren zu schlängeln scheinen. Auf einer anderen Fotografie dann gleicht das Herz einem Architekturentwurf. Ich denke an die Formensprache der Philharmonien in Sydney oder Hamburg. Das Herz erscheint uns in stetigem Wandel befindlich, mal organisch, mal mechanisch, mal beweglich, mal starr."

"Neulich dachte ich, es wäre schön, nach meinem Ableben einen Grabstein in Herzform zu haben. Vielleicht ja des meinen. Es wäre eine Persiflage. Sicher. Vielleicht aber auch nur die nette Huldigung einer guten Kooperation."

Fabian Widukind Penzkofer, 2021

 


Vor zwei Wochen wurde mir mit einem Katheter ein Occluder ins Herz geschoben. Das ist eine Art Stöpsel, um das Vorhofohr zu verschließen. So können sich dort keine Blutgerinsel ansammeln. Den Occluder kann man langgezogen und dünn wie eine Bleistiftmine durch die Blutbahnen schieben. Wenn er gelandet ist, wird er aufgespannt und hat die Größe von einem Hosenknopf. Er braucht insgesamt drei Monate, um einzuwachsen und bleibt nun immer in meinem Herzen.

Ich habe in mein Heart of Glass einen stilisierten Occluder eingefügt und beobachte jetzt den Prozess des Einwachsens mit meiner Handykamera.


Die zermürbende Zeit mit meinem aus der Fassung geratenen Herzen ist vorbei.

Mein Leben gehört wieder der Kunst.

Den Formen, den Farben, den Entdeckungen.

Mein Glasherz führt mich dorthin,

füllt sich mit den Lichtschnüren einer nächtlichen Stadt,

wird zu einem goldenen Feld,

einem grünen Weinberg,

zu einer archaischen Steinskulptur,

einer ausgewaschenen Felswand,

einem bergenden Flusstal.

Seine zwei Hälften

verwandeln sich in einen schillernden Mistkäfer,

dann in violette Schmetterlingsflügel.

Es breitet sie aus -

Und schon ist es mit ihnen davongeflogen…